Französische Philologie
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Französisch und Romanistik
Französisch und Romanistik



Prof. Dr. Jens Lüdtke (Heidelberg)

 

Zur Stellung des Französischen und der französischen Sprachwissenschaft an den Universitäten

Table ronde auf dem Kongreß des Frankoromanisten-Verbands, 23.-25. September 1998 in Mainz

 

Meinen Diskussionsbeitrag zur Table ronde des Mainzer Frankoromanistentags habe ich seinerzeit als Vizepräsident des Romanistischen Dachverbands (RDV) gegeben. Da sich an der Lage seitdem nichts Wesentliches geändert hat und die Beiträge zur Table ronde nicht veröffentlicht wurden, mache ich meine Stellungnahme hier zugänglich.

 

Meine Stellungnahme hat die in der Sprachwissenschaft übliche Vertretung mehrerer romanischer Sprachwissenschaften zur Grundlage. Diese eher romanistische Vertretung des Französischen ist unter Sprachwissenschaftlern üblicher als unter Literaturwissenschaftlern. Daher bin ich als einziger in einer anderen Lage als meine Diskussionspartner. Dies liegt eher in der Sache begründet und weniger in meiner Einstellung dazu. Theorien und Methoden der Sprachwissenschaft sind leichter von einer Sprache, auf die sie angewandt worden sind, auf eine andere zu übertragen. Dies gilt umso mehr, als die romanischen Sprachen untereinander unübersehbare Gemeinsamkeiten aufweisen.

Mein Beitrag hat Offensichtliches zum Gegenstand und verfolgt nur die Absicht, dieses Offensichtliche zum Gegenstand unserer Diskusion zu machen. Wir haben, in knappen Worten, folgende Ausgangslage:

Die Stellung des Französischen in der Welt hat sich verändert, es hat viel von seiner früheren Bedeutung eingebüßt. Die Franzosen haben sich seit langem auf seine «Verteidigung» gegen den Hauptgegner, das Englische, eingestellt.

Eine Folge des weiteren Vordringens des Englischen ist, daß sich die Stellung des Französischen unter den Schulsprachen im deutschen Sprachraum verschlechtert hat und diese Sprache weniger oft als Studienfach gewählt wird.

Das Interesse der Studierenden an der Romanistik ist an den Universitäten gleichwohl konstant geblieben. Es richtet sich nunmehr aber in verstärktem Maße auch auf andere romanische Sprachen, auf das Spanische, das Italienische und das Portugiesische.

Zwei Punkte der Ausgangslage möchte ich hervorheben:

1.) Die Stellung des Französischen an den Universitäten im deutschsprachigen Raum war bis in die sechziger Jahre privilegiert, zum Teil hatte das Französische eine Monopolstellung.

Das Französische stand bis in die sechziger Jahre hinein unangefochten an erster Stelle im Studium und so ebenfalls, bei der Verbindung von Forschung und Lehre, in der Forschung. Diejenigen, die das Französische studierten, nannten sich - und nennen sich oft immer noch - «Romanisten». Die romanistische Tradition des Französischen setzt sich im Verbandsnamen «Frankoromanisten-Verband» fort, der allerdings eine störende Ambiguität fortschreibt, die in anderen Verbandsnamen nicht vorkommt. Das Fach «Frankoromanistik» zu nennen, ist eine Vermeidungsstrategie ohne Tradition, um nicht das Wort oder die Wörter zu nennen, die ich jetzt nicht aussprechen will, da meine Vorredner sich ablehnend dazu geäußert haben. Ich wäre eher für mehr Klarheit und für klarere Schnitte, denn der Frankoromanisten-Verband vertritt keine eigentlichen romanistischen Interessen. Das Studium des Französischen war in der Regel ein Lehramtsstudium. Daneben sahen die Prüfungsordnungen - bisweilen tun sie es sogar heute noch - ein grundständiges Promotionsstudium vor, das jedoch recht selten gewählt wurde. Einen gewissen Grund, sich «Romanist» zu nennen, gibt es bekanntlich. Die Prüfungsordnungen für das Lehramt an Sekundarschulen sahen und sehen in aller Regel die Erlernung einer zweiten romanischen Sprache und gewöhnlich auch Lateinkenntnisse vor. Und oft lernten die «Romanisten» aus Begeisterung mehrere Sprachen.

2.) Die heutige Stellung des Französischen entspricht der Idee der romanischen Philologie besser als die frühere privilegierte Stellung.

Sie entspricht der Idee der romanischen Philologie besser, wenn man als deren Aufgabe die «Forschung über romanische Sprache und Rede» sieht, wie dies Gustav Gröber zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausdrückte. Im Hinblick auf die inhaltliche Präzisierung von «romanischer Sprache und Rede» bestehen im einzelnen sehr viele Unterschiede, die vielleicht an anderer Stelle zur Sprache kommen werden. Sie betreffen mein Thema aber nicht unmittelbar.

Romanisten sollten sich über die Entwicklung der romanischen Philologie freuen. Noch nie wurde die romanische Vielfalt im deutschen Sprachraum in solcher Breite in Lehre und Forschung vertreten. Daran ändert auch der gegenwärtige Stellenabbau nichts Wesentliches, denn die Stellen sind nicht in dem Maße abgebaut, wie die Romanischen Seminare in den siebziger Jahren ausgebaut worden sind. Gegenwärtig dürfte der Ausbau in den neuen Bundesländern noch nicht vom Abbau in den alten Bundesländern überholt worden sein.

Ich insistiere: Noch nie gab es eine solche romanistische Vielfalt wie heute. Durch die Vielseitigkeit der Studieninteressen, die Wahl- und Kombinationsmöglichkeiten der romanistischen Studienfächer und ihre Realisierung durch den gesamten Lehrkörper sogar an kleineren Romanischen Seminaren wird die Idee der romanischen Philologie besser verwirklicht als je zuvor. Dies ist noch mehr der Fall, wenn man unter Romanistik die durchaus problematische interne fachliche Vielfalt versteht, über die wir an dieser Stelle diskutieren.

Unter den Folgen der Entwicklung nenne ich in Anbetracht der knappen Zeit zwei:

Die eine Folge betrifft die Stellung des Französischen unter den Schulsprachen und den Studienfächern:

Zum Druck durch das Englische kommt der Druck der anderen romanischen Sprachen hinzu.

Der Grund zur Freude für die Romanistik als Ganzes ist ein Problem für das Französische geworden. Zu einem Teil geht die Zahl der «Studienfälle» zurück. Dieser Rückgang führt dort, wo keine neuen Stellen geschaffen werden können, zur Verlagerung von Französischstellen zu den anderen romanischen Sprachen. Diese Umschichtung geht manchmal durchaus schleichend vor sich: Auch Deputatsanteile gehen vom Französischen zu den anderen romanischen Sprachen über. Das Französische ist auf diese Weise unter einen internen Druck geraten, der von Dauer sein wird, weil das Französische als zweite Fremdsprache jetzt schon an den Schulen in Konkurrenz zum Spanischen und Italienischen kommt, was überhaupt nicht unseren Interessen entspricht, wenn wir uns weiterhin als Romanisten verstehen, eine Konkurrenz, die sich deshalb an den Universitäten fortsetzt, weil man ohne Vorkenntnisse des Französischen das Französische nicht studieren kann. Die anderen romanischen Sprachen kann man dagegen sowohl mit als auch ohne Vorkenntnisse studieren. Wir kommen darauf zurück.

Die andere Folge betrifft das Verhältnis der französischen Sprachwissenschaftler zu den deutschsprachigen.

Das Verhältnis der französischen und der deutschsprachigen Sprachwissenschaftler zueinander hat sich verschlechtert.

Verständlich, daß in einer Zeit der dominanteren Stellung des Französischen an den Universitäten im deutschen Sprachraum die Beziehungen zwischen den französischen und den deutschsprachigen Sprachwissenschaftlern reger waren. Je romanischer die romanische Sprachwissenschaft wurde, desto weniger Austausch fand naturgemäß mit den französischen Sprachwissenschaftlern statt. Es kommt hinzu, daß wir uns einseitig oder ausschließlich an Frankreich orientieren. Für Hispanisten sind Spanien oder für Lusitanisten Portugal nicht derart ausschließlich die Länder, an denen man seine Interessen ausrichtet.

Die Probleme der Beziehungen zwischen den französischen und den deutschsprachigen Fachkollegen fangen schon bei den Sprachkenntnissen an. Als muttersprachliche Sprecher, die ihre eigene Sprache untersuchen, nehmen die Franzosen, wie die muttersprachlichen Linguisten anderer großer Sprachgemeinschaften, die im nichtfranzösischen Ausland geschriebene Fachliteratur zu ihrer Sprache, noch dazu, wenn sie in einer anderen Sprache geschrieben ist, wenig wahr. Die interessante romanistische Produktion im deutschen Sprachraum wird selten zitiert. Das Deutsche ist als Wissenschaftssprache in Frankreich eben nicht sehr verbreitet, wenn man von den Germanophonen absieht, ganz anders als in der Schweiz oder in Belgien. Sogar in französischen linguistischen Publikationen, die in Deutschland verlegt worden sind, erscheinen gelegentlich englische, aber kaum einschlägige auf deutsch geschriebene Schriften.

Die Einstellung unserer französischen Kollegen zu uns können wir nach der Entwicklung der letzten dreißig Jahre viel besser einschätzen, weil wir sie mit den Erfahrungen vergleichen können, die wir in anderen romanischen Ländern gemacht haben. Die Kontakte sind dort leichter zu knüpfen, wir werden eher gelesen und auch übersetzt. Es gibt eine große Bereitschaft, sich im romanischen Kontext mit den Sprachwissenschaftlern aus dem deutschen Sprachraum auseinanderzusetzen. Das fehlt mir in Frankreich.

Es wäre eine schöne Aufgabe für den Frankoromanisten-Verband, ein Forum der wisenschaftlichen Auseinandersetzung mit Fachvertretern aus dem ganzen französischen Sprachraum zu schaffen. Auch wir sehen zu oft nur auf Frankreich.

Es gibt ein Interesse am romanischen Sprachraum, das zu einem Studienwunsch führt, ohne daß es durch Sprachkenntnisse gestützt sein muss. Heute schon entscheiden sich viele Studierende deshalb für eine andere romanische Sprache als das Französische, weil sie das Studium des Französischen nicht ohne sprachliche Vorkenntnisse aufnehmen können.

Eine solche Neuerung wird nicht überall durchzusetzen sein. Dazu fehlen die Stellen. Dort aber, wo, wie in den neuen Bundesländern, die Romanistik gut ausgebaut, aber nicht voll ausgelastet ist, sollte man an die Einrichtung eines Studiengangs mit Französisch ohne Vorkenntnisse denken. Der Frankoromanisten-Verband sollte die Einrichtung solcher Studiengänge unter bestimmten Voraussetzungen offiziell empfehlen.

Für die Zukunft möchte ich drei Desiderata benennen. Das erste Desideratum hat die französische Sprachwissenschaft zum Inhalt:

Die Beschreibung und Geschichte des Französischen in seiner weltweiten Verbreitung sollte Gegenstand der universitären Forschung und Lehre sein.

Davon sind wir noch weit entfernt. Deshalb scheint mir die Einbeziehung des gesamten französischen Sprachraums in Forschung und Studium immer noch ein Desiderat zu sein. Ich möchte hier gerade nicht von Frankophonie sprechen, weil sich darin eine starke Hegemonie Frankreichs manifestiert. Für die Einseitigkeit auch unserer Perspektive brauche ich nur ein Beispiel zu geben: Wir erfahren in französischen Sprachgeschichten viel über die Entwicklung des Französischen in Frankreich, wenig oder nichts über die außerhalb von Frankreich.

Das zweite Desideratum bezieht sich auf die Stellung des Französischen unter den Schulsprachen:

Das Französische soll wieder verstärkt als erste Fremdsprache oder wenigstens als zweite Fremdsprache an den Schulen unterrichtet werden.

Dies ist kein enges Verbandsinteresse, sondern hier eine Notwendigkeit für die große deutschsprachige Gemeinschaft, die für alle anderen großen und kleinen Sprachgemeinschaften offenbleiben muß. Wir sollten daher, jeder für sich, in seiner Berufspraxis und als Verband, dafür eintreten, daß das Französische als erste oder als zweite Fremdsprache an den Schulen gelehrt wird.

Der Frankoromanisten-Verband sollte eine Presserklärung abgeben, in der den Schülern und Eltern die Wahl des Französischen als erster oder wenigstens als zweiter Fremdsprache nahegelegt wird. Man muß dabei mit dem praktischen Nutzen des Französischen argumentieren.

Gerade weil mir alle romanischen Sprachen am Herzen liegen, ist mir das Französische als Erst- oder als Zweitsprache wichtig. Nur wenn man schon Kenntnisse in einerromanischen Sprache hat, kann man leicht zu anderen romanischen Sprachen übergehen. Im deutschen Sprachraum sollte also das Französische weiterhin an erster Stelle stehen.

Das dritte Desideratum betrifft die französische Philologie als universitäres Studienfach:

Das Französische soll mehr als bisher ohne Vorkenntnisse studiert werden können.

Diese Konsequenz ergibt sich aus der veränderten Stellung des Französischen unter den Sprachen an den Romanischen Seminaren. Sie ist auch das Ergebnis der weiteren Ablösung des Französischen durch das Englische an den Sekundarschulen. Bislang ist es nur begrenzt möglich, ein Studium des Französischen ohne sprachliche Vorkenntnisse aufzunehmen. Sollte dies doch der Fall sein, müsste diese Information verbreitet werden. Nur die «allgemeine Hochschulreife» wird, wenn dies wörtlich zu nehmen ist, laut Mitteilungen des Deutschen Romanistenverbands über alternative Studiengänge an mindestens zwölf deutschen Universitäten vorausgesetzt (Bayreuth, Humboldt-Universität zu Berlin, Bochum, Chemnitz, Kassel, Koblenz-Landau, Mainz, Mannheim, Passau, Saarbrücken, Siegen, Zwickau). Ob dies auch der Praxis entspricht, geht aus den Angaben nicht hervor.

Der Weg zu den romanischen Sprachen ging früher fast ausschließlich vom Französischen zu den anderen romanischen Sprachen. Heute ist es oft schon umgekehrt. Und es müssen auch diejenigen gefördert werden, die das Französische spät entdecken, denn das Französische ist eben nicht immer die vorrangig studierte romanische Sprache.

Kommentare zur Diskussion

Landeskunde

Die mit «Landeskunde» benannte Ausrichtung des Studiums könnte noch besser als im Rahmen einer weit verstandenen französischen Philologie durch geeignete Fächerverbindungen gefördert werden. Aber unsere Studierenden wählen solche Fächerverbindungen, etwa mit Geschichte, ausgesprochen selten im Lehramt, sie bevorzugen vielmehr andere philologische Fächer, möchten innerhalb des Französischen gleichwohl auf «Landeskunde» nicht verzichten, was zu unseren bekannten ständigen Problemen führt. Wir können jedoch diese an sich notwendigen Kenntnisse immer weniger in den verkürzten Studienzeiten unterbringen.

Die Ausfüllung der verschiedenen deutsch-französischen Abkommen wird für Sprachwissenschaftler umso schwieriger, je mehr Sprachen sie vertreten, da eine Beteiligung an den Kooperationsmöglichkeiten mit mehreren Ländern mit einem ungeheuren Selbstverwaltungsaufwand verbunden ist.

Ich würde die Beteiligung der Romanisten an den Berufsfeldern der deutsch-französischen Kooperation nicht ganz so negativ sehen. Wenn man bedenkt, daß viele Magisterabsolventen Französisch im Nebenfach studieren, verbinden sie gerade romanistische Studiengänge mit anderen oft landeskundlich orientierten. Statt diese anderen Studiengänge in das Französische hineinzunehmen, sollte man taugliche Kombinationen in der Studienberatung für Studienanfänger empfehlen. Wir haben dabei mit dem bekannten Phänomen zu rechnen, daß gegen Beginn des Studiums die Fachorientierung überwiegt und diese erst in der zweiten Hälfte der Studiums zu einer beruflichen Orientierung und auch Umorientierung führt.

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